Kurzinterview mit Kerstin Junghans
Geschäftsführerin DEHOGA Hessen
Kerstin Junghans im Gespräch
Die letzten zwei Jahre waren ein großes Auf- und Ab für die Hotellerie- und Gastrobranche. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf das Jahr 2023?
Junghans: „In der Tat waren die letzten zwei Jahre eine große Herausforderung für alle Betriebe. Diese Zeit konnte nur mit viel Durchhaltevermögen, Kreativität und leider auch mit personellen Anpassungen gemeistert werden.
Nach dieser kräftezehrenden Phase wünschen wir uns alle beständig gutlaufende Geschäfte.
Doch neue wirtschaftliche Entwicklungen treiben unsere Branche aktuell um, so dass mein Blick auf das Jahr 2023 eher vorsichtig optimistisch ausfällt. Ich bin mir bewusst, dass viele Betriebe aktuell mehrere Herausforderungen gleichzeitig jonglieren müssen.“
Wo genau liegen aus Ihrer Sicht die größten aktuellen Herausforderungen?
Junghans: „Für mich gibt es zurzeit zwei große Themen: Zum einen die stark angestiegenen Preise, vor allem bei den Energie- und Lebensmittelkosten, die die Betriebe zwangsläufig an den Gast weitergeben müssen, um überhaupt wirtschaftsfähig zu bleiben. Dies birgt das Risiko, dass sich weniger Gäste ein gutes Essen oder eine Hotelübernachtung leisten können oder wollen.
Das zweite große Thema ist der akute Personalmangel: Nahezu jeder Betrieb steht vor der Frage, wo geeignetes Personal für Küche, Service, Rezeption, Housekeeping etc. zu finden ist. Oft scheitert es hier auch an ausreichender Schriftsprache, um anfallende Aufgaben eigenständig und sorgfältig ausüben zu können.“
Welchen Beitrag können Projekte wie #ABCforJobs leisten?
Junghans: „Um das Problem des Personalmangels in den Griff zu bekommen, müssen wir das Thema mit all seinen Facetten betrachten. Ein Aspekt davon ist, dass 6,2 Mio. erwerbsfähige Menschen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben können. Durch die Digitalisierung haben sich Arbeitsabläufe stark verändert und gute Schreib- und Lesefähigkeiten sind in fast allen Berufen zur Grundvoraussetzung geworden. Mitarbeiter*innen, die hier Defizite haben, sind nur stark eingeschränkt einsetzbar oder können bestimmte Positionen gar nicht ausüben. Für die Betroffenen eine belastende Situation und für die Betriebe eine Zwickmühle, da motivierte und an sich qualifizierte Menschen aufgrund der Lese- und Schreibdefizite nicht flexibel einsetzbar sind. Hier greift das vom Bund geförderte Projekt der GFFB mit dem Namen #ABCforJobs: Es wurde speziell für den Hoga-Bereich konzipiert und wird vom DEHOGA Hessen, den Partnern Frankfurt Hotel Alliance und Initiative Gastronomie Frankfurt sowie zwölf weiteren Kooperationspartner*innen unterstützt. Die Teilnehmenden trainieren kostenfrei vier Monate lang an zwei Tagen pro Woche Lesen, Schreiben und Verstehehen typischer Arbeitssituationen mit Einsatz von Virtual Reality-Tools. Für Betriebe kann es sich lohnen, Mitarbeiter*innen auf diesem Weg zu unterstützen, um sie langfristig an sie zu binden und weiterentwickeln zu können.“
Was können weitere Ansätze sein, um dem Personalmangel im HOGA-Bereich entgegen zu wirken?
Junghans: „Ein entscheidender Punkt ist hier sicherlich, Anreize zu schaffen, um Mitarbeiter*innen langfristig zu binden. Dafür ist es wichtig, die persönliche Entwicklung von Mitarbeitenden individuell zu begleiten und zu fördern, mögliche Karrierewege aufzuzeigen und diese mit konkreten Schritten festzuhalten. Regelmäßige Feedbackgespräche sollten selbstverständlich sein – ebenso wie eine Unternehmenskultur, in der man gerne arbeitet. Es gibt keine bessere Eigenwerbung als die positive Rückmeldung aktueller Mitarbeiter*innen. Im besten Fall wirkt diese inspirierend und sorgt für neue Bewerbungen.“
Zum Schluss noch ein kleiner Blick in die Zukunft: Welche Trends & Entwicklungen werden uns in der Hotel- und Gastrobranche in den nächsten Jahren verstärkt begegnen?
Junghans: „Die Anforderungen an Arbeitskräfte in Hotellerie und Gastronomie werden weiter ansteigen. Der Gesundheitsaspekt, gute Ernährung, die Vermeidung von Allergenen und Zusatzstoffen, frische Zubereitung sowie der Weg zur Nachhaltigkeit, der heute en vogue ist, wird sich langfristig durchsetzen.
Der Entertainmentaspekt in der Hotel- und Gastrobranche darf nicht mehr außer Acht gelassen werden. Essen und Trinken oder eine Hotelübernachtung allein ist nicht mehr ausreichend; vielmehr geht es hier um das Zusammenspiel von Gastgewerbe, Einzelhandel und Kultur, um das zu genießen, was man zu Hause eben nicht hat.
Arbeitgeberbewertungsportale werden immer mehr an Bedeutung gewinnen, nicht nur bei Jobsuchenden, sondern auch in den Unternehmen selbst. Hat sich die Hotel- und Gastrobranche in den vergangenen Jahren stets darum bemüht Gäste zu begeistern, gewinnt nun dieselbe Anforderung in puncto Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung. Ein weiteres und dauerhaftes Umdenken im Personalmanagement ist essenziell.“